Die Schwarz-rote Koalition und uralte Konflikte

von Dieter Weirich *

Iwan Pewtrowitsch Pawlow, russischer Forscher und Nobelpreisträger für Medizin, ist durch ein wissenschaftliches Experiment weltberühmt geworden. Er hat herausgefunden, dass Hunde in hechelnder Vorfreude Speichel nicht erst produzieren, wenn sie fressen, es reicht, dass sie die Nahrung sehen oder riechen. Das nennt man in der Verhaltenstherapie eine „bedingte Reaktion“ – oder den Pawlowschen Reflex.

Pawlowsche Hunde findet man aber nicht nur in der Tierwelt. Sie sind auch in den Verhaltensmustern menschlicher Lebewesen, vor allem in der Politik, anzutreffen. Krisenzeiten und leere Kassen lösen Stimulationen in Politiker-Gehirnen aus, die zu politische Aktionen führen.

Dass die Pawlowschen Hunde trotz aller Mahnungen zur Geschlossenheit nicht schläfrig im Zwinger verharren, sondern fröhlich weiter bellen, dokumentieren erste massive Streitigkeiten der Partner der Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD. Da fordert der CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann ohne Unterstützung seines linken Flügels eine umfassende Reform des Bürgergeldes und sogar den Stopp von Zahlungen. Regierungspartner SPD lehnt in bekannter Manier „Attacken auf den Sozialstaat“ ab und hält solche Rhetorik für kontraproduktiv.

Zumeist streitet sich die Pawlowsche Hundemeute über Sozialpolitik. Da verlangt der neue SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf höhere Krankenkassenbeiträge für Gutverdiener, doch die CDU/CSU wehrt sich gegen weitere Belastungen der Bürger und ihrer Wähler. Ähnlich kontrovers sind die Argumente zum Mindestlohn, dem Leib-und Magen-Thema der SPD, die möglichst rasch eine Anhebung auf 15 Euro will.

Die meisten Konflikte sind uralt und unterstreichen nur die total unterschiedlichen politischen Vorstellungen der Partner in dem neuen Regierungsbündnis. Man könnte auch von den „Pawlowschen Rindern“ sprechen, also von Wiederkäuern alter Forderungen aus der Vorratsdatenspeicherung der letzten Jahre.

Die geplanten großen Sondervermögen – sprich Schulden – könnten bei den Pawlowschen Hunden besonderen Speichelfluss auslösen, um zusätzliche Konsumausgaben aus dem Bundeshaushalt in dieses milliardenschwere Schuldeninstrument umzuschichten. Man fragt sich: Ist das mehr als eine böse Vorahnung ? Die aktuell Regierenden sollten sich darüber im klaren sein, dass die letzte Regierungskoalition aus drei Parteien an zu viel Gebell und zu wenig Lösungskompetenz gescheitert ist.

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*) Der renommierte Medienexperte und Kommunikationsberater Dieter Weirich (CDU) war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst „als liberalkonservativen Streiter“ sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.

Pawlowsche Hunde im Deutschen Bundestag

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