Wie Medien in Corona-Zeiten die politische Kommunikation beeinflussen – von Robert Grünewald *
Die große alte Dame der deutschen Kommunikationswissenschaft Elisabeth Noelle-Neumann (1916-2010) wusste, welchen Einfluss die Medien auf politische Stimmungen und Politik haben können. Bekannt geworden ist Noelle-Neumann vor allem mit ihrer Theorie der Schweigespirale, die erklärt, wie Mehrheiten durch Medien-Einfluss zum Schweigen gebracht und damit in der öffentlichen Wahrnehmung zur Minderheit werden können. Mit einer anderen, weniger bekannten Theorie, der Konsonanz-Theorie, beschrieb Noelle-Neumann, welchen Einfluss ein konsonanter Medientenor, also ein Gleichklang der Medienberichterstattung und Kommentierung auf die Politik haben kann. Diesen Effekt können wir in diesen Tagen wieder beobachten.
Die Bundesregierung ist mit ihrer Corona-Politik in schweres Fahrwasser geraten. Diese Entwicklung ist allerdings bereits mit der Freigabe von Impfstoffen Ende letzten Jahres eingetreten, als klar wurde, dass vorerst nicht genügend Impfstoff zur Verfügung stehen würde. Entscheidend für die politische Stimmung und die Lage der Regierung war aber, wie die Medien sich zu diesem Fakt verhalten würden. Die Springer-Medien, insbesondere BILD, starteten frühzeitig eine Kampagne gegen die Corona-Politik der Regierung, die zuletzt an Schärfe immer mehr zunahm. Die anderen Leitmedien, FAZ und SPIEGEL, hielten sich dagegen bedeckt, ja stützten sogar mit ihrer Berichterstattung und Kommentierung die Regierungspolitik. Die FAZ sprach sogar noch Anfang Februar von einem „Impfwunder“ und warf den Kritikern der Regierung „Impfpopulismus“ vor (FAZ 03.02.2021). Vor allem ein Redakteur, Jasper von Altenbockum, mühte sich, der BILD-Kampagne ganz bewusst in seinen Kommentaren und Berichten entgegen zu treten. Das hat auch mit der hehren Absicht zu tun, jene Konsonanz vermeiden zu wollen, die einem publizistischen Meinungspluralismus abträglich ist. Damit kann man allerdings schnell unglaubwürdig werden, nämlich dann, wenn die Faktenlage allzu erdrückend wird. Und in der vergangenen Woche war es dann so weit: In zwei Kommentaren hat man bei der FAZ offensichtlich die Reißleine gezogen, denn diese Zeitung, deutsches Leit- und Qualitätsmedium, lebt ganz besonders von der journalistischen Glaubwürdigkeit, die ihr zugerechnet wird. „Reagieren reicht nicht“ (FAZ 04.03.2021) überschrieb von Altenbockum seinen Kommentar, in dem er der Regierung, namentlich Angela Merkel, den „Mangel an Impfstoffen“, den „verschleppten Schutz von Alten- und Pflegeheimen“ sowie eine „organisatorische Selbstblockade, die als bürokratische Bräsigkeit und Verantwortungsscheu wahrgenommen wird,“ vorwarf. Und im Wirtschaftskommentar legte ein FAZ-Kollege einen Tag später nach, indem er in der Überschrift Deutschland als „Weltmeister im Rechtfertigen“ (FAZ 05.03.2021) bezeichnete und die Fehler der Regierung nochmals aufzählte, für die diese immer noch „irgendeine vermeintlich gute Erklärung“ habe, für die aber niemand mehr Verständnis hätte. Sogar der Begriff „Staatsversagen“ wurde bemüht. Eine deutliche Kehrtwende in der publizistischen Ausrichtung.
Dies war offensichtlich das Signal für den SPIEGEL, der in seiner neuesten Ausgabe (06.03.2021) unverhohlen den Rücktritt von Gesundheitsminister Spahn fordert („Es reicht, Herr Spahn!“), dabei aber gleich auch den Rücktritt von Merkel als überfällig bezeichnet. Dieser werde nur mit Rücksicht auf die schwere Pandemie-Lage nicht eingefordert, da er in eine politische Krise führen würde. Aber: „Die Hauptverantwortung trägt die Bundeskanzlerin.“ Damit macht der SPIEGEL klar, wen er für den Schuldigen an der krisenhaften Zuspitzung der Lage hält.
Man kann davon ausgehen, dass der SPIEGEL ohne das vorherige Umschwenken der FAZ nicht „zum Jagen geblasen“ hätte. Denn damit hätte er nur eine publizistische Frontstellung aufgebaut, die zwar gut für den Meinungspluralismus gewesen wäre, aber auch ein Risiko für die eigene Glaubwürdigkeit bedeutet hätte. Noelle-Neumann sah die Ursache für solche Konsonanz-Prozesse in der journalistischen Peergroup-Orientierung: man schreibt zwar nicht voneinander ab, orientiert sich jedoch stark an dem, was die Konkurrenz macht, damit man mit der eigenen Deutung der Dinge nicht völlig neben dem Mainstream liegt. Genau das ist jetzt mit FAZ und SPIEGEL so geschehen. Eine konsonante Publizistik wie im Augenblick als Gegner ist fast letal für jede Regierung. Im vorliegenden Fall auch deshalb, weil Merkel und ihre Politik schon längst die Unterstützung der Springer-Medien verloren haben, die früher traditionell auch in schwierigen Phasen der Union publizistischen Beistand leisteten. Diese Konstellation kommt der Union gerade im wichtigen Wahljahr 2021 äußerst ungelegen. Es hilft wohl tatsächlich nur noch ein „Impfwunder“.
*) Dr. Robert Grünewald ist Politik- und Kommunikationswissenschaftler und Geschäftsführer der Gesellschaft für Politische Kommunikation. Er hat u. a. bei Elisabeth Noelle-Neumann studiert und als Journalist und wissenschaftlicher Mitarbeiter gearbeitet. Zuletzt war er Seminarleiter für Politische Kommunikation bei der Konrad-Adenauer-Stiftung, für die er mehrere Publikationen herausgegeben hat, u. a. den Sammelband „Politische Parteien in der modernen Demokratie“ (LIT-Verlag 2020).