Der schwarz-rote Koalitionsvertrag und seine politische Kommunikationsprosa
Von Dieter Weirich *
Eine Woche nach Ostern noch können die 358 000 Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) über den 146 Seiten langen „schwarz-roten“ Koalitionsvertrag abstimmen. Die deutlich erkennbare sozialdemokratische Handschrift und sieben errungene SPD-Bundesministerien lassen angesichts des mageren 16 Prozent-Ergebnisses der SPD bei der jüngsten Bundestagswahl kaum Zweifel an einem zu erwartenden positiven Votum der Genossen zu.
Die weniger basisorientierte Christlich Soziale Union in Bayern (CSU) – Schwesterpartei der Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDU) – hat das Papier im Benehmen mit ihren der Parteiführung stets brav folgenden Mitgliedern „aus Verantwortung für Deutschland“ bereits abgesegnet. Und auch der noch ausstehende Kleine Parteitag der CDU wird dem Koalitionsvertrag sicherlich „grünes Licht“ geben.
Bei dem neuen Fahrplan für das Regieren in die Zukunft sollte man auf das „Wording“ achten – wie die in die angelsächsische Diktion verliebten modernen Polit-Strategen das klassische Wort „Sprachregelung“ neudeutsch nennen: Alle Maßnahmen stehen unter „Finanzierungsvorbehalt“. Noch ist die Tinte nicht trocken, da offenbaren führende Vertreter des neuen Regierungsbündnisses bereits ihren fehlenden Glauben an die Machbarkeit von Wunschprojekten. So sieht CDU-Chef Friedrich Merz, Bundeskanzler in spe, noch keinen steigenden Mindestlohn. Und SPD-Generalsekretär Matthias Miersch bezweifelt, dass Geld für die von der CSU favorisierte Mütterrente da ist.
Feine semantische Unterschiede prägen den Text des Vertrages, der im Grunde nur eine politische Absichtserklärung ist. Mit „Werden, Wollen, Wünschen und Sollen“ unterscheiden die Partner die Mach- und Wünschbarkeit von Projekten. Zum Schwur wird es schon bald bei der Aufstellung des Bundeshaushaltes kommen, wo es um Priorisieren und Sparen geht. Sieht man von den durch die jüngste Änderung des Grundgesetzes möglich gemachten gigantischen Ausgaben für die Sicherheit Deutschlands sowie vom „Sondervermögen“ für eine intakte Infrastruktur und für den Klimaschutz ab, so gilt die Schuldenbremse praktisch weiter.
Ob eine vertragliche Festlegung der Koalition und ihrer Ziele auf vier Jahre angesichts einer von politischen Tsunamis heimgesuchten Welt sinnvoll ist, daran kann man zweifeln. Die einstige Ampel-Koalition ist nicht zuletzt daran gescheitert, dass sie es versäumt hat, nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges ihre Koalitions-Vereinbarung zeitgemäß nachzujustieren.
Freilich überwiegt hierzulande erst einmal die Erleichterung, dass sich in Krisenzeiten relativ rasch eine neue Regierungskoalition gebildet hat. Ob die von der Bundesvorsitzenden der Mittelstands- und Wirtschaftsunion Gitta Connemann zuversichtlich angekündigte Politikwende wirklich kommt, muss sich aber erst noch zeigen.
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*) Der renommierte Medienexperte und Kommunikationsberater Dieter Weirich (CDU) war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst „als liberalkonservativen Streiter“ sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.