Von Robert Grünewald *

Der jüngste Satz von Bundeskanzler Friedrich Merz, man habe „im Stadtbild noch dieses Problem“, mag zunächst wie ein beiläufiger Kommentar erscheinen, erklärungsbedürftig, grob und zu pauschalisierend vielleicht, doch genau solche Formulierungen bergen eine hohe politische Relevanz: Sie markieren den Wandel im öffentlichen Diskurs über Stadt, Gesellschaft und Zugehörigkeit. Stadtbilder sind keine neutralen Hintergründe – sie sind Sinnbilder für kollektive Wahrnehmungen und gesellschaftliche Ordnungen. Wird das „Stadtbild“ als Problem deklariert, so wird nicht allein über Architektur oder Infrastruktur gesprochen, sondern über das Gefüge von Integration, Sicherheit und kultureller Ordnung. Und genau hier liegt auch das Problem der politischen Linken in Deutschland, die zu Recht fürchten muss, die Diskurshoheit bei einem für sie existenziellen Thema zu verlieren. Es erklärt auch ihren Aufschrei, ihre Demonstrationen und Proteste, ihre Gegenaktionen inklusive Schmierereien an CDU-Büros in Bonn, Hannover und anderswo sowie ihre bis ins Persönliche gehenden Beleidigungen Merz‘, die mittlerweile auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen – wenn auch vermeintlich satirisch – geäußert werden („Extra Drei“ am 23.10.2025).

Die Herausforderung für die politische Linke liegt darin, dass solch ein Bild implizit eine normative Erwartung transportiert: Ein Stadtbild – visuell, öffentlich präsent – soll so aussehen, wie man es gewohnt ist oder wie man es idealisiert. Wenn sichtbar wird, was nicht hineinpasst, aber bisher beschwiegen wurde (illegale Migration, Kriminalität, Gewalt), entsteht das Narrativ einer „Störung“. Wer dieses Narrativ setzt, übernimmt Deutungshoheit. Und genau hier greift das Konzept der kulturellen Hegemonie des italienischen Linksphilosophen Antonio Gramsci, den viele Linke studiert haben und dessen Konzept sie übernommen haben: Herrschaft und Einfluss manifestieren sich nicht nur über Institutionen oder Gesetze, sondern über die Sprache (z. B. Gendern), über Begriffe und Bilder (Multikulti, Klimakrise), die alsbald als selbstverständlich gelten. Wer den Begriff „Stadtbild“ besetzt, wer „Problem im Stadtbild“ sagt, tut genau das Gleiche: er gewinnt Herrschaft über bildliche Vorstellungen und verändert so die Alltagswelt der Menschen.

In diesem Sinne erlebt die politische Linke gerade eine für sie gefährliche Diskursverschiebung weg vom Ideal der Multikulti-Gesellschaft hin zu einem neu kodierten Rahmen: Sicherheit, Ordnung, Kontrolle. Die Multikulti-These, lange Zeit Rückgrat einer links-progressiven Politik, gerät in die Defensive. Multikulti wird nicht mehr primär als Stärke, sondern als Gefahr wahrgenommen. Einst positiv besetzt, muss die Multikulti-These plötzlich gegen den Vorwurf verteidigt werden, sie sei realitätsfern, naiv oder gar sicherheitsgefährdend. Linke Politik wird so in den Reaktionsmodus gedrängt: Sie wird gezwungen, auf konservative Frames zu antworten, statt eigene zu setzen. Damit verliert sie nicht nur Themen- sondern auch Sprachmacht. Die politische Entwicklung zeigt: Nach der verlorenen Bundestagswahl verlieren linke Parteien nun offensichtlich auch die kommunikative Hegemonie. Der sprachliche Machtverlust erklärt das Ausmaß von Aufschrei und Protest.

Für die Union ist dabei wichtig: Merz‘ Wortwahl erlaubt es, Ängste und Ordnungsvorstellungen zu aktivieren, ohne in offene Abwertung zu verfallen. Die Union kann sich beim Thema Migration als verantwortliche Kraft zwischen Realitätssinn einerseits (Sicherheit und Ordnung) und Humanität andererseits (legale Migration und Integration) positionieren. Der Begriff „Stadtbild“, von Merz später relativiert und präzisiert, ist somit die bürgerliche Übersetzung eines migrationskritischen Narrativs – bewusst oberflächlich und unscharf, aber diskursiv mächtig und vor allem anschlussfähig: im jüngsten ZDF-Politbarometer stimmten 63 Prozent der Befragten der Aussage von Merz zu.

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*)  Der Autor ist promovierter Politik- und Kommunikationswissenschaftler und nach langjähriger Tätigkeit bei der Konrad-Adenauer-Stiftung Geschäftsführer der GPK Gesellschaft für Politische Kommunikation in Bonn. 

„Stadtbild“ – wie ein Begriff die kommunikative Deutungshoheit verändert

4 Gedanken zu „„Stadtbild“ – wie ein Begriff die kommunikative Deutungshoheit verändert

  • 28. Oktober 2025 um 11:34 Uhr
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    Politische Kommunikation sollte immer nüchtern Zusammenhänge darstellen anstatt an der Oberfläche zu polarisieren und die Verantwortung anderen zu überlassen.
    Nur mit Ehrlichkeit und Mut können die Probleme angegangen werden.
    Ein verantwortungsbewusster Politiker verzichtet auf impulsgesteuertes „Raushauen“ von spaltender Rhetorik. Da muss der Friedrich noch viel lernen…und nicht anderen ebenso verantwortungslosen und allseits bekannten Populisten nacheifern!
    Erst denken, dann sprechen…und handeln!
    Destabilisierung in der Gesellschaft bis hin zur erneuten Uneinigkeit in der Regierung …wohin das führt wissen wir aus der Geschichte!
    Friedrich Merz braucht dringend Beratung zur verantwortlich gestalteten Politischen Kommunikation!!!
    Auch wenn er in der Sache nicht unrecht hat, aber es geht nicht um Migration sondern um importierte und innerdeutsche männliche Gewalt als gleichermaßen Folge und Ursache von Extremismus in Deutschland.
    Da muss angesetzt werden zum Schutz von Frauen, Freiheit, Frieden und Vielfalt!

  • 26. Oktober 2025 um 10:13 Uhr
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    Sind wir nicht längst an dem Punkt angekommen, an dem wir die Macht der Wort nutzen sollten, um zu verbinden, statt zu spalten? In dem wir Zukunftsbilder bauen, die positiv anmuten. Das „Stadtbild“ wurde von Herrn Merz sehr unglücklich gewählt – mal wieder -. Wären wir nicht besser beraten, ein Bild aufzubauen, von welcher demokratischen Partei auch immer, Zuversicht zu verbreiten. An unsere bereits oft und meisterlich vollbrachten Krisenbewältigungen der Vergangenheit zu erinnern. Den festen Glauben zu fördern „Wenn wir eins können, dann ist es Krise“ -. Ist Kristenbewältigung ein einfacher Weg, natürlich nicht. Herausforderungen bleibt es weiterhin zu bewältigen. Ist es nicht längst an der Zeit, anstatt Fingerpointing auf andere, ob Parteien oder Menschengruppen, die Macht zu nutzen, die wir haben? Auf unsere Worte zu achten. Es verbindet uns alle sehr viel – der Wunsch nach einem glücklichen Leben. Egal welches Alter, Geschlecht, Glaube, Herkunft. Hat man sich an aufgestellte Regeln zu halten, unbedingt. Das beginnt bei der weggeworfenen Zigarettenkippe über Zahlung von Steuern. Ein Stadtbild wird besonders attraktiv durch Vielfalt. Diese Vielfalt sichert uns als Gesellschaft und Wirtschaft das Überleben. Ganz egoistisch. Wo stehen wir in zehn Jahren, wenn es diese Vielfalt nicht gäbe? Wir müssen dringend aus dem Micromanagement aussteigen, dass uns zurzeit wie ein Magnet festzementiert. Ist es nicht längst an der Zeit neu zu denken? Um Spaltung und Gefahr von Rechts zu verhindern. Aufzuzeigen das wir ohne die anderen nicht mehr können und wollen? Wir haben ein strukturelles Problem, dies gilt es dringend anzugehen. Als Bundeskanzler, Kanzler für alle – über alle Parteigrenzen hinweg, sollte und darf es ein solches Wording nicht geben. Ich wünsche mir, das Menschen die die Macht haben, das Know-how oder die Sichtbarkeit, ihr Privileg nutzen, um ein Zukunftsbild darzustellen, dass nicht von Angst, Unsicherheit oder Gefahr geprägt ist. Es geht nicht darum, wer Recht hat, sondern darum, das Richtige zu tun.

  • 24. Oktober 2025 um 12:31 Uhr
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    Ohne Menschen mit Migrationshintergrund wären deutsche Städte ärmer an Farbe, Klang und Leben. Vielfalt in Gastronomie, Kultur, Sprache und Alltag würde fehlen – viele Straßen, Plätze und Märkte wirkten eintönig und starr. Auch wirtschaftlich und sozial wären die Folgen spürbar: weniger Fachkräfte, weniger Dynamik, weniger Innovation. Zuwanderung prägt seit Jahrhunderten die Entwicklung urbaner Räume – sie ist nicht Ausnahme, sondern Fundament.
    Ein Stadtbild ohne Migration wäre ein Stadtbild ohne Zukunft.

  • 24. Oktober 2025 um 12:24 Uhr
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    Merz hat den unscharfen Begriff „Stadtbild“ verwendet. Dem einen passen nicht Frauen in Burkhas und junge Männer mit offensichtlichem Migrationshintergrund, dem anderen zugeparkte Gehwege und ungepflegte Grünanlagen oder leerstehende Ladenlokale. Klaus Weise hat das Problem bereits 2012 im Bonner Schauspiel mit dem Stück „Zwei Welten“ auf den Punkt gebracht. Anlass war, dass sein Sohn, ein braver biodeutscher Abiturient, im Godesberger Stadtwald zusammengeschlagen wurde, anscheinend von weniger privilegierten jungen Männern.

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