Wie die Grünen an den Tücken der politischen Kommunikation scheitern

Von Robert Grünewald *

Große und Kleine Anfragen an die Bundesregierung sind das Mittel der Wahl für die Opposition im Parlament, um dem Publikum zu signalisieren: Es gibt uns noch. Dies gilt insbesondere im Sommerloch und anderen nachrichtenarmen Zeiten, wo gleichzeitig die Chance steigt, in den Medien Gehör zu finden. Das mögen sich auch die Grünen im Bundestag gedacht haben, als sie schon vor Beginn der Sommerpause ihre Kleine Anfrage „Pläne der Bundesregierung zu Veränderungen beim Bürgergeld“, Bundestagsdrucksache 21/552, an die Bundesregierung richteten, die nun, Bundestagsdrucksache 21/966, bereitwillig geantwortet hat. Allerdings dürfte die Antwort auf die Anfrage nicht nach dem Geschmack der Grünen gewesen sein, obwohl sie sich mit insgesamt 31 sorgfältig formulierten Fragen zu so komplexen Sachverhalten wie Leistungsmissbrauch, Pflichtverletzungen, Sanktionen und Leistungsentzug viel Mühe gegeben haben. Wobei sich der Normalbürger fragt, wie viele Fragen es denn sein müssen, damit die Voraussetzungen für eine Große Anfrage erfüllt sind. Aber es galt endlich auch mal dem Umstand gebührende Aufmerksamkeit zu verschaffen, dass bei 5,5 Mio Bürgergeldbeziehern die Fallzahlen beim Leistungsmissbrauch nach grüner Auffassung eher gering ausfallen, die Debatte um Sozialmissbrauch maßlos übertrieben sei. „Mehr Sachlichkeit statt Stimmungsmache“ forderte der Abgeordnete Dzienus, der für die Grünen die Stellung im parlamentarischen Sommerloch hielt.

Was die Grünen allerdings nicht bedachten: in der Antwort der Bundesregierung, einem Zahlenwerk mit über 100 Zahlen in sechs Tabellen, sticht eine Zahl hervor, die es in sich hat: Unter dem Stichwort „Bandenmäßiger Leistungsmissbrauch“ wurden im vergangenen Jahr 421 Betrugsfälle registriert, eine Steigerung von 84 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Die in der Drucksache eher nüchtern daherkommende Zahl rief allerdings den deutschen Investigativjournalismus auf den Plan, die Medienmaschine kam ins Rollen. Süddeutsche Zeitung und die ZEIT rückten die Ankündigung der Bundesregierung zur Bekämpfung des „bandenmäßigen Betrugs“ in die Titelzeilen, das WDR-Fernsehen schwärmte mit Kamera-Teams aus, um sich auf die Suche nach den Nestern der Betrügerbanden zu machen – Medien, die eigentlich nicht im Verdacht stehen, den Grünen eins auswischen zu wollen. Tenor der Berichterstattung: Es gibt ein erschreckendes Ausmaß an Sozialleistungsbetrug beim Bürgergeld mit kriminellen Methoden und dem Ziel, unser sauer verdientes Steuergeld abzuzocken und in dunklen Kanälen verschwinden zu lassen.

Damit erreichte die Anfrage der Grünen genau den gegenteiligen Effekt: Der Blick der Medien richtete sich auf die Steigerung der Fallzahlen beim Sozialleistungsbetrug und die kriminellen Machenschaften, nicht deren relative Seltenheit im Verhältnis zur Gesamtzahl der Millionen von Leistungsbeziehern. Statt die Diskussion zu versachlichen, verschärften die Grünen die öffentliche Wahrnehmung eines systematischen Problems und rückten damit unbeabsichtigt genau das Problem in den Fokus, das sie zu entschärfen versuchten. Nicht um die Frage sozialer Gerechtigkeit, sondern um die Systemkritik am Bürgergeld drehte sich plötzlich die öffentliche Diskussion.

Die Grünen stehen hier exemplarisch für ein Dilemma, vor dem die politische Kommunikation regelmäßig steht: Der Versuch, ein Thema proaktiv und kontrolliert in die Öffentlichkeit zu bringen, kann scheitern, wenn das gewählte Framing nicht tragfähig ist oder von anderen Akteuren konterkariert wird. In diesem Fall haben die Grünen eine Debatte eröffnet, ohne die anschließende Rezeption durch Öffentlichkeit und politische Gegner ausreichend einzukalkulieren. Zwar betonen sie, dass Betrugsfälle im Verhältnis zur Gesamtzahl der Bezieher marginal sind. Doch solche Relativierungen greifen in einer Debatte über Vertrauen in staatliche Institutionen und über Gerechtigkeit im Sozialstaat oft zu kurz. Dass es überhaupt organisierte Kriminalität im Bereich des Bürgergelds gibt, wird in der deutschen Öffentlichkeit als inakzeptabel wahrgenommen – unabhängig von der relativen Häufigkeit.

Was bleibt, ist der Eindruck einer Partei auf dem Schleudersitz der politischen Kommunikation. Man will den Sozialstaat verteidigen, ohne seine Missstände anzuerkennen. Man beklagt Stimmungsmache, liefert aber selbst die Vorlage. Die Anfrage der Grünen hatte durchaus das Potenzial, eine differenzierte Diskussion anzustoßen. Stattdessen wurde sie zum Vehikel einer Zuspitzung, die ihre Initiatoren als realitätsfern und naiv erscheinen lässt. Wer sich in der Rolle des Aufklärers inszeniert, muss auch mit den Konsequenzen leben, wenn sich der Sachverhalt, den er aufdeckt, problematischer darstellt als erwartet. Das eigentliche Problem liegt ja nicht im Bürgergeld, sondern in der Unfähigkeit der Grünen, strategisch zu kommunizieren. Die Planlos-Kommunikation der resignierenden Grüne-Jugend-Vorsitzenden ist nur ein weiteres Beispiel. Wer mit moralischer Überlegenheit in eine Debatte geht, darf sich nicht wundern, wenn nüchterne Fakten plötzlich in einem anderen Licht erscheinen. Es kann durchaus riskant sein, politische Themen durch parlamentarische Initiativen „entschärfen“ zu wollen, wenn die Kontrolle über die anschließende öffentliche Interpretation fehlt. Die Grünen werden künftig stärker abwägen müssen, wann und wie sie kommunikativ intervenieren – und wann Schweigen strategisch klüger ist.

_____________________________

*) Der Autor ist promovierter Politik- und Kommunikationswissenschaftler und nach langjähriger Tätigkeit bei der Konrad-Adenauer-Stiftung jetzt Geschäftsführer der GPK Gesellschaft für Politische Kommunikation in Bonn. Text teilweise mit KI.

„Mehr Sachlichkeit statt Stimmungsmache“

Ein Gedanke zu „„Mehr Sachlichkeit statt Stimmungsmache“

  • 30. Juli 2025 um 20:27 Uhr
    Permalink

    Mein Sohn arbeitet seit 10 Jahren in der Leistungsabteilung eines Jobcenters. Die meisten Bedarfsgemeinschaften haben ernsthafte Vermittlungshindernisse wie Krankheit, fehlende Kinderbetreuung oder mangelnde Qualifikation.
    Sozialbetrug ist schwer nachweisbar, wenn er bewiesen ist, müssen die Betroffenen die zu viel gezahlten Beträge zurück zahlen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert