Die CDU nach ihrem Parteitag in neuem Modus

Von Robert Grünewald*

Einige Presseleute hielt es nicht mehr auf ihren Plätzen im großen Saal des weitläufigen Berliner Hotels Estrel, als die Bekanntgabe des Wahlergebnisses für den Vorsitzenden Friedrich Merz länger als üblich auf sich warten ließ. Sie stürmten nach vorne bis zur Absperrung hinter den Tischreihen der CDU-Delegierten, um dann doch enttäuscht feststellen zu müssen, dass die Abstimmung mit dem Ergebnis von 89,8 Prozent oder „rund 90 Prozent“, wie die Parteitagsregie bekannt gab, nicht die erwartete Klarheit lieferte, die ihnen eine prompte Einordnung ermöglicht hätte. Einige diskutierten gar mit den Delegierten, was aber in den meisten Fällen ebenso wenig für mehr Klarheit sorgte. Dies schlug sich auch auf den Titelseiten der Zeitungen am nächsten Tag nieder, die den Vorsitzenden Merz mal klar gestärkt, mal wenig bis kaum unterstützt sahen.

Allerdings kommt es gar nicht darauf an, ob es nun 90 Prozent sind oder doch etwas weniger. Viel mehr zählt, dass das neue Grundsatzprogramm, das Merz‘ Handschrift trägt, sich selbst „im besten Sinne bürgerlich“ nennt und eine deutliche Abkehr von dem alten Merkel-Kurs darstellt, von den Delegierten ohne größere Abstriche angenommen wurde. Der Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke spricht gar von einem „Merz-Programm“. Hinzu kommt, dass Merz mit seinem Generalsekretär Carsten Linnemann einen loyalen Mitstreiter an seiner Seite hat, bei dem er nicht befürchten muss, dass dieser ihm, wie weiland Heiner Geißler seinem Vorsitzenden Kohl, in den Rücken fällt. Darüber hinaus wird Merz mittlerweile auch von ehemaligen Kritikern aus dem Merkel-Lager unterstützt, das zusehends kleiner wird. Nein, diese CDU trägt ihren Vorsitzenden, weil sie weiß, was es nach zwei misslungenen Versuchen, eine stabile Parteiführung zu etablieren (Kramp-Karrenbauer, Laschet), bedeuten würde, erneut das Risiko des Scheiterns einzugehen.

Aber auch die Frage, ob das Wahlergebnis für einen CDU-Kanzlerkandidaten Merz spricht oder nicht, ist eher unerheblich. Da gibt es eine Reihe weiterer Kriterien, die mindestens genauso wichtig wenn nicht gar wichtiger sind. Die meisten Beobachter nennen die anstehenden Wahlen zum Europaparlament und die Landtagswahlen im Osten ausschlaggebend. Selbst das ist jedoch nicht ausgemacht, dass bei einem schlechten Abschneiden der Partei, was nicht unbedingt zu erwarten ist, ein anderer als Merz zum Zuge kommt. Die neue Geschlossenheit ist ja gerade eine wichtige Voraussetzung für ein gutes Abschneiden bei den anstehenden Wahlen. Diese Geschlossenheit war auch beim Auftritt von Ursula von der Leyen am dritten Tag zu spüren, bei der man bislang nicht das Gefühl hatte, dass die CDU deren Politik als EU-Kommissionspräsidentin zum Kernbestand christdemokratischer Programmatik rechnet.

Die wohl wichtigste Frage mit Blick darauf, wer Kanzlerkandidat wird, hat die CDU mit dem neuen Grundsatzprogramm entschieden. Keiner der immer wieder genannten Alternativen zu Merz passt zu diesem Programm besser als Merz selbst – und kann somit auch dessen Umsetzung garantieren. Eine andere Frage ist, was die CDU mit Merz über die 30 Prozent hinaus, die ihr zurzeit in Umfragen prognostiziert werden, noch hinzugewinnen kann. Merz hat sich darauf festgelegt, die zur alten Stärke fehlenden Prozente der AfD abzujagen („AfD halbieren“), die ihren Zenit in Umfragen überschritten zu haben scheint. Doch ob dies auch auf das Stimmenkonto der CDU einzahlt? Skeptiker wie der Trierer Parteienforscher Uwe Jun verweisen im Gespräch mit der GPK darauf, dass Merz keine nennenswerten Zugewinne zuzutrauen seien. Andere potenzielle Kandidaten wie etwa NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst oder der Schleswig-Holsteiner Daniel Günther seien dagegen durchaus in der Lage, in der linken Mitte noch bis zu 10 Prozent für die CDU zu generieren – was nach der nächsten Bundestagswahl die Bildung einer Regierungskoalition unter Führung der Union deutlich vereinfachen würde. Günther wäre allerdings – wegen verschiedener Äußerungen in der letzten Zeit – in der CDU nur bedingt mehrheitsfähig.

Anders sieht es aus bei Hendrik Wüst, der in Interviews keine Gelegenheit auslässt, mit der Kandidatenfrage zu kokettieren. Doch auch zu ihm gibt es ein großes „Aber“: Die demonstrative Einigkeit zwischen Merz und dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder zielt auch auf die „Abwehr“ einer Kanzlerkandidatur aus der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt. Söder würde nämlich einen Kanzlerkandidaten Merz nicht nur akzeptieren, sondern auch unterstützen, anders als dies bei dem gescheiterten Kanzlerkandidaten Laschet 2021 der Fall war. Bei einem Versuch der CDU, einen Kanzlerkandidaten Wüst zu installieren, würde Söder jedoch wohl kaum stillhalten, die alten Grabenkämpfe wie 2021 drohten, erneut auszubrechen. Und dies trotz aller gut gemeinten und das Parteitagspublikum erheiternden Worte, die der CSU-Vorsitzende und Ministerpräsident aus Bayern in seinem Grußwort an die Delegierten mitbrachte. Um diese Konstellation weiß auch Wüst, der, obwohl er in Umfragen bislang besser abschneidet als Friedrich Merz, bei einer Kanzlerkandidatur das Risiko eines Spielverderbers Söder meiden will. Insofern ist die Tatsache, dass es neben Merz noch zwei statt nur einen weiteren potenziellen Kanzlerkandidaten gibt, für diesen selbst die beste Rückversicherung gegen parteiinternen Gegenwind in der Kandidatenfrage. Damit aber steht seiner Nominierung im Herbst, wenn die CDU bei den anstehenden Wahlen nicht doch noch katastrophal abstürzt, was nicht zu erwarten ist, schon jetzt nichts mehr im Wege.

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz mit dem bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden Markus Söder beim CDU-Parteitag in Berlin (Foto: GPK Bonn)

So lautet das Fazit dieses Parteitags: Merz statt Merkel, dazu ein neues Grundsatzprogramm und damit eine klare Politikalternative zur Ampel-Regierung. Die CDU hat für sich einen neuen Modus gefunden, um mit Optimismus in die diesjährigen Wahlen und das Bundestagswahljahr 2025 zu starten.

*) Der Autor ist promovierter Politik- und Kommunikationswissenschaftler und Geschäftsführer der GPK Gesellschaft für Politische Kommunikation in Bonn.

„Im besten Sinne bürgerlich“