Zum Jahresbericht der NRW-Antisemitismusbeauftragten – ein Kommentar
Von Robert Grünewald *
In Nordrhein-Westfalen schnellt die Zahl der antisemitischen Straftaten in die Höhe – und wer zeigt sich am meisten erschüttert? Natürlich Sylvia Löhrmann, grüne NRW-Antisemitismusbeauftragte und moralische Instanz im Kampf gegen das, was sie sich unter „rechtem Hass“ so vorstellt. 695 Straftaten zählt die Landes-Kriminalstatistik, die Meldestelle RIAS kommt gar auf 940 Vorfälle. Und Löhrmann? Zeigt sich bei der Vorstellung des Jahresberichts – siehe oben – erschüttert. „Erschüttert“, ein Wort, das in der grünen Emotionsskala irgendwo zwischen „zutiefst betroffen“ und „erschrocken“ liegt – nur ohne jeden praktischen Nutzen. Denn wer genau für diesen Anstieg verantwortlich ist, bleibt bei Löhrmann im Nebel. Dass ein erheblicher Teil der antisemitischen Übergriffe nicht vom gepflegten AfD-Wähler aus Ost-Westfalen kommt, sondern z.B. von jungen Männern mit arabischem Migrationshintergrund im Ruhrgebiet, propalästinensischen Aktivist:innen oder „linken Spinnern“ (F. Merz), ist in der grünen Wirklichkeitswahrnehmung eher eine Form von Hate Speech als ein statistisch belegbares Phänomen. Dabei weist RIAS aus: von den 402 eindeutig zugeordneten Straftaten wurden 327, also über 80 Prozent, von Täter:innen aus dem Bereich „antiisraelischer Aktivismus, links/antiimperialistisch, islamisch/islamistisch“ (Kategorisierung RIAS) begangen.
Man müsse, so Löhrmann, „Solidarität mit den Jüdinnen und Juden zeigen“. Ja, am besten mit einem Regenbogen-Aufkleber und einem „Nie wieder ist jetzt“-Sticker auf dem E-Bike. Dass gleichzeitig Demonstrationen stattfinden, auf denen „From the River to the Sea“ gebrüllt wird – geschenkt. Oder dass jüdische Schülerinnen und Schüler in manchen Klassen lieber verschweigen, dass sie jüdisch sind – tragisch, klar, aber natürlich nicht repräsentiv.
Löhrmanns Presseerklärung ist ein Paradebeispiel für das, was man bei den Grünen unter Antisemitismusbekämpfung versteht: moralische Betroffenheit ohne jeden Realitätssinn. Der Verweis auf die Re-Traumatisierung der Großeltern junger Jüdinnen und Juden, die schon einmal den Rückzug ins Private antreten mussten, ist erschütternd – und doch scheint die banale Erkenntnis zu fehlen, dass es nicht Klaus-Dieter aus dem Schützenverein ist, der Davidsterne an Synagogen schmiert, sondern: siehe RIAS.
Warum das alles so ist? In der Welt der grünen Gutmeinenden gibt es keine Täter:innen, sondern nur Verhältnisse und Strukturen, die bekämpft werden müssen, eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Und so bleibt die Reaktion auf die antisemitische Realität in NRW ein einziger moralinsaurer Nebel: betroffen, aber blind für die Realität. Grüne Tränen über eine Entwicklung, deren Ursachen man nicht benennen will, weil sie nicht ins grüne Weltbild passen. Am Ende ist das wohl die bitterste Erkenntnis: Die grüne Antisemitismusbeauftragte weint, doch es sind Krokodilstränen – und unsere Jüdinnen und Juden müssen vielleicht wieder die Koffer packen.
*) Der Autor ist promovierter Politik- und Kommunikationswissenschaftler und nach langjähriger Tätigkeit bei der Konrad-Adenauer-Stiftung jetzt Geschäftsführer der GPK Gesellschaft für Politische Kommunikation in Bonn. Text teilweise mit KI.