Ausgangslage und Rahmenbedingungen vor der nächsten Bundestagswahl stehen fest
Von Stephan Eisel*
Wie lange angekündigt, haben CDU und CSU die K-Frage im Unterschied zum Streit 2021 schnell und einvernehmlich gelöst: Friedrich Merz hat als CDU-Vorsitzender und Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion auf die Kanzlerkandidatur zugegriffen. Er wurde dabei in der CDU mit breitem Einvernehmen unterstützt, nachdem Hendrik Wüst seinen Hut nicht in den Ring geworfen hat. Nach Markus Söder hat aus der CDU niemand gerufen: man hat seine Illoyalitäten nicht vergessen, die es der SPD
ermöglichten, 2021 knapp an der Union vorbeizuziehen und die Regierungsbildung an sich zu ziehen. Für einen erfolgreichen Wahlkampf der Union wird entscheidend sein, dass diese Einigkeit anhält. Das setzt von Söder eine bisher ungewohnte solidarische Disziplin voraus und erfordert, dass der sächsische Ministerpräsident Kretschmer nicht immer wieder den Versuchungen einer Sonderrolle erliegt. Seine immer wieder pointiert vorgetragene und in der Union isolierte Sondermeinung zum Ukraine-Krieg hat bei den Landtagswahlen in Sachsen nicht verhindert, dass die CDU das schlechteste Ergebnis seit 1990 erreicht hat und nur knapp stärkste Partei blieb. Die Wahlkampfhilfe für die SPD in Brandenburg war ein Nackenschlag für die eigenen Parteifreunde.
Mit Friedrich Merz hat sich die Union bei der Kanzlerkandidatur für die kantige Variante entschieden. Seine große Stärke ist seine allgemein anerkannte Wirtschaftskompetenz, die eine immer größere Bedeutung bekommt, je mehr die Ampel-Regierung Deutschland in den wirtschaftlichen Abstieg führt. Mit der
Konsolidierung der CDU nach der Wahlniederlage der Union 2021 (damals nur 24,1 %) hat Merz zugleich Führungsstärke und Teamfähigkeit bewiesen. Umfragen sehen die Union jetzt mit 30 bis 35 Prozent wieder bei der Stärke der Wahlergebnisse der letzten 20 Jahre, signalisieren aber noch keinen Höhenflug. Zugleich wird sein eher polarisierender Stil Friedrich Merz besondere Disziplin im Wahlkampf abverlangen und ihn dazu nötigen, mit einem Team die Breite der CDU als Volkspartei zu verdeutlichen. Hier gibt es erheblichen Nachholbedarf: Neben dem meist etwas übereifrig wirkenden Generalsekretär Carsten Linnemann und dem grundsoliden Fraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei fällt unter den stellvertretenden Parteivorsitzenden und den stellvertretenden Vorsitzenden der Bundestagsfraktion bundespolitisch allenfalls der ehrgeizige Jens Spahn und die kluge Karin Prien häufiger auf. Unter den CDU-Ministerpräsidenten hat besonders Wüst ein bundespolitisches Profil. Ausgesprochen gut und sichtbar aufgestellt ist die Union vor allem mit Röttgen und Kiesewetter in der Außenpolitik. Dieses personelle Profil fehlt beispielsweise in der Wirtschaftspolitik und stützt sich in der Innenpolitik auf einen Landesminister – Herbert Reul. Das heisst nicht, dass die CDU keine attraktiven personellen Angebote hätte – genannt sei hier nur Andreas Jung für die Umweltpolitik -, aber ein breit aufgestelltes Kompetenzteam der Union müsste nach außen sichtbarer werden. Das gilt umso mehr, als auch die nächste Bundestagswahl in der Mitte entschieden wird. Es geht darum, über das Stammwählerpotential hinaus für nicht festgelegte Bürger attraktiv zu sein. Der Bonner CDU-Kreisverband beispielsweise hat dafür mit der Nominierung des prominenten Virologen und Corona-Experten Hendrik Streeck ein deutliches Zeichen gesetzt.
Bei den Grünen hat Robert Habeck die strategische Herausforderung erkannt und die Reißleine gezogen. Die als Gesicht der ideologischen Bevormundung hervorgetretene Parteivorsitzende Ricarda Lang musste zurücktreten. Mit ihrer Neuaufstellung nehmen die Grünen scheinbar heimatlos gewordene „Merkel-Wähler“ ins Visier. Dabei haben sie das Problem, dass Habeck selbst seit dem Heizungsgesetz als bürgerferner Theoretiker gilt und als Wirtschaftsminister mit der Wirtschaftskrise assoziiert wird.
Die SPD findet dagegen die Kraft zur Neuaufstellung erkennbar nicht. Obwohl noch nie ein Bundeskanzler von so vielen Menschen als ungeeignet für das Amt empfunden wurde, bleibt Olaf Scholz ebenso im Amt wie die Parteivorsitzende Esken und Generalsekretär Kühnert mit seinem linksideologischen Impetus. Vor der SPD liegt als besondere Herausforderung zudem – als einzige Landtagswahl vor der Bundestagswahl – die Hamburger Bürgerschaftswahl im nächsten März. Dort haben die Sozialdemokraten 2020 noch 39,2 Prozent erreicht, wurden bei der Europawahl 2024 aber mit 18,8 Prozent stimmenmäßig mehr als halbiert. Offiziell will die SPD ihren Kanzlerkandidaten erst im Juni 2025 nominieren. Selbst bei einem Wahldesaster in seiner Heimatstadt Hamburg wird an Scholz so knapp vor dem regulären Bundestagswahltermin kein Weg mehr vorbeiführen. Vor diesem Hintergrund scheint es ausgeschlossen, dass die SPD mit ihren Umfragewerten um die 15 Prozent der Union die Rolle als stärkste Bundestagsfraktion noch wie 2021 streitig machen kann.
Damit wird die Initiative zur Regierungsbildung aller Voraussicht nach bei Friedrich Merz liegen. Mindestens einen Koalitionspartner wird die Union dabei brauchen. Die FDP ist dafür zu schwach, kämpft mit der 5-Prozent-Hürde ums Überleben und hat sich als kooperativer Partner in den letzten Jahren nicht empfohlen. Außerdem ist die Union gut beraten, nach den Erfahrungen der Ampel eine Dreier-Koalition (in Wahrheit wäre das wegen des Selbstverständnisses der CSU eine Vierer-Koalition) zu vermeiden. Sie wird sich nach Lage der Dinge zwischen SPD und Grünen entscheiden müssen. Es wäre unvernünftig, jetzt schon eine dieser Optionen grundsätzlich auszuschließen. Darauf sollte sich Merz nicht einlassen. Dass Söder diesen Kurs zur Zeit aggressiv propagiert, birgt mögliches Konfliktpotential, ist aber angesichts seiner Wandlungsfähigkeit nicht in Stein gemeißelt. Viel hängt hier davon ab, wie die bundespolitische Neuaufstellung der Grünen ausfällt. Jedenfalls funktionieren die Koalitionen zwischen CDU und Grünen in NRW, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg gut und auch in Hessen war die Zusammenarbeit viele Jahre stabil. Koalitionen zwischen CDU und SPD gibt es aktuell nur in Berlin und Hessen.
Das Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) kommt schon wegen der Putin-hörigen Außenpolitik auf Bundesebene nicht als Partner in Frage. Es handelt sich zudem um eine völlig auf eine Person zugeschnittene Kaderpartei mit bundesweit nur ca. 900 von Wagenknecht handverlesen ausgesuchten Mitgliedern. Diametrale Widersprüche zu den Grundsätzen der CDU sollten auch auf Landesebene Koalitionen, d. h. Ministerposten für das BSW, ausschließen. Wagenknecht strebt diese mit ihrer auch für die Landesebene bedingungslosen Anti-Nato- und Pro-Putin-Politik offenbar auch nicht an.
Dass die AfD kein Partner der Union sein kann, bestätigt sie immer wieder, ob mit ihrem Ziel EU-Austritt, ihrer Putin-Fixierung, wirtschaftsfeindlichen Vorschlägen oder ihrem aggressiven Nationalismus. Ihre hasserfüllte und gegen ganze Menschengruppen gerichtete Programmatik steht in diametralem Widerspruch zum christlichen Menschenbild der Union. Mit ihrer Kanzlerkandidatin Weidel bestätigt sie in Inhalt und Stil ihre radikale Ideologie. Zudem hat das skandalöse Verhalten der AfD bei der konstituierenden Sitzung des Thüringer Landtags gezeigt, dass sich diese Partei mit aller Konsequenz gegen die parlamentarische Demokratie aufstellt. Auch das gehört zu den wichtigen Erkenntnissen mit Blick auf die anstehende Wahl zum nächsten Deutschen Bundestag.
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*) Der Autor ist promovierter Politikwissenschaftler und war viele Jahre lang enger Mitarbeiter von Helmut Kohl im Bundeskanzleramt. In Bonn ist er Vorsitzender des Vereins „Bürger für Beethoven e.V.“.