Von Dieter Weirich*

Sommerfußball ist ein ironischer Begriff für mäßig interessantes Gekicke, wobei die Hitze nicht als Entschuldigungsgrund gelten kann. Finanzminister Christian Lindner (FDP) sorgt jetzt mit seiner Forderung von Nachverhandlungen des Haushalts 2025 für eine Verlängerung der bereits müde machenden Partie. In der hatten sich die führenden Personen der Drei-Parteien-Koalition aus SPD, Grünen und FDP (wegen ihrer Parteifarben Rot, Grün, Gelb auch „Ampel“ genannt) nach über 80 Stunden Hickhack auf eine vom Kanzleramt vorgeschlagene kreative Buchhaltung des Etats 2025 geeinigt.

Doch Lindner scheut nach Kenntnis von Gutachten über den kreativen Etat-Beschluss die verfassungsrechtlichen Risiken der erstrittenen bilanzkosmetischen Operation und will nun nachverhandeln. Die „Ampel“ hatte im Konsens eine Umgehung der gesetzlich festgeschriebenen Schuldenbremse beschlossen. Und zwar dergestalt, dass die übrig gebliebenen 4,9 Milliarden Euro bei der Förderbank KfW für die Gaspreisbremse anderweitig im Haushalt genutzt werden. Und dass der ohne eigene Einnahmen agierenden Autobahngesellschaft Darlehen gegeben statt Zuschüsse gezahlt werden. Überdies sieht Freidemokrat Lindner weitere Sparmöglichkeiten im Sozialhaushalt und bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit.

Lindners Sommerbotschaft dürfte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Erholung im Urlaub kräftig vermiest haben. Und SPD-Generalsekretär Kühnert sieht im Nachkarten Lindners schlicht einen „schlechten Stil“. Auch die Grünen schäumen. Die „Ampel“ tut also auch im Sommer das, was sie am besten kann: sich streiten und zanken.

Neue Umfragen sehen die drei Regierungsparteien denn auch in einem Rekordtief. Zusammen kommen sie mittlerweile nur noch auf 30 Prozent der Wählergunst, wähend die oppositionelle CDU/CSU bei 31 Prozent liegt. Und eine Besserung ist für die „Ampel“ nicht in Sicht. Im Gegenteil. Bei den Landtagswahlen im September droht ihnen eine weitere Marginalisierung. Es wäre also meines Erachtens an der Zeit, die in keiner Farbe mehr leuchtende „Ampel“ abzuschalten und Neuwahlen auszurufen. Da aber den Regierungsparteien ein politisches Waterloo droht, findet das Gewürge wohl seine Fortsetzung.

Lindner werden vereinzelt immer noch Ambitionen für einen vorzeitigen Ausstieg aus der Koalition nachgesagt. Er kreiert in diesen Tagen eine neue Sportart: den verhinderten Turmsprung. Er wippt auf dem Brett, nimmt das dräuende Wasser in den Blick und tritt wieder zurück. Die Courage seines historischen Vorbildes, Hans-Dietrich Genscher, der einst den mit dem Risiko des politischen Selbstmords verbundenen Wechsel von Helmut Schmidt zu Helmut Kohl eingeleitet hatte, besitzt er nicht. Er pokert nur – zum Sprung fehlt ihm schlicht der Mut.

_____________________

*) Der renommierte Medienexperte und Kommunikationsberater Dieter Weirich (CDU) war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst „als liberalkonservativen Streiter“ sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.

Christian Lindner: Zum Sprung fehlt ihm der Mut