Von Robert Grünewald *

Auf kommunaler Ebene treibt der Bundestagswahlkampf manchmal seltene Blüten. In Bonn, wo Bundestagswahlen seit dem Regierungsumzug stets auch von der Bonn/Berlin-Problematik tangiert werden, hat jetzt ein Wahlaufruf der Grünen für Aufregung gesorgt, der von einer ehemaligen grünen Bezirksbürgermeisterin verfasst wurde. Unter dem Slogan „Strategisches Wählen“ empfiehlt er den Bonnerinnen und Bonnern: „Wer ein CDU-Direktmandat in Bonn verhindern will, der muss am 23. Februar mit der Erststimme Grün wählen.“ In den sozialen Medien sorgt der Appell für Aufruhr, Begriffe wie „antidemokratisch“, „Hass“, „Diffamierung“ und „Antiwahlkampf“ machen die Runde. Insbesondere die CDU fühlt sich getroffen, denn in dem ehemaligen Adenauer-Wahlkreis tritt für sie der prominente Arzt und Virologe Hendrik Streeck an, der als Mitglied des Corona-Expertenrates der Bundesregierung in der Corona-Pandemie bekannt wurde. Seine Gegnerin bei den Grünen ist die Bundestagsabgeordnete Kathrin Uhlig, für die SPD geht die Abgeordnete und ehemalige Juso-Bundesvorsitzende Jessica Rosenthal ins Rennen.

Der Ärger bei der CDU speist sich aus der Tatsache, dass Uhlig es eigentlich nicht nötig hat, mit Aufrufen dieser Art sich mit Streeck zu befehden. Sie steht auf der NRW-Landesliste für die Bundestagswahl auf Platz sieben, was ihr den Wiedereinzug in den Bundestag über die Liste sichert. Streeck hat keinen Listenplatz und muss den Wahlkreis gewinnen, wenn er in den Bundestag einziehen will, wobei selbst das wegen des neuen Wahlrechts nicht sicher wäre. Vor allem hat ihm aber seine Prominenz bislang noch keinen erkennbar großen Vorsprung im Wahlkreis beschert. Die letzte Umfrage sieht ihn bei knapp 30 Prozent, Uhlig liegt mit 28 Prozent nur knapp dahinter. Auf Platz drei folgt mit 18 Prozent bereits abgeschlagen Rosenthal.**

Die CDU wirft den Grünen vor allem vor, mit ihrem Aufruf einen weiteren Bonn-Vertreter im Bundestag zu verhindern. Zöge Uhlig über die Liste ein und Streeck über den ersten Platz bei der Erststimme, so hätte Bonn, so das Kalkül der CDU, zwei starke Stimmen in Berlin. Und die braucht die Bundesstadt auch, lassen doch die Bundesländer Berlin und Brandenburg, Abgeordnete im Bundestag und auch Lobbyverbände keine Gelegenheit aus, den Komplettumzug der in Bonn verbliebenen Bundesministerien nach Berlin anzumahnen. Ohnehin ist der Rutschbahneffekt in Bonn bereits mit Händen zu greifen, entspricht doch die Zahl der dort beschäftigten Ministeriumsmitarbeiter mit nur noch ca. 7.000 bei weitem nicht dem, wovon im Berlin/Bonn-Gesetz von 1994 mit damals 20.000 ausgegangen wurde. Den politischen Bedeutungsverlust als Bundesstadt mit ihrem Aufruf zu provozieren, das ist der konkrete Vorwurf, den die CDU in Bonn an die Grünen richtet.

Allerdings fragen sich die Wahlkämpfer auch, ob es tatsächlich eine unbekannte Lokalpolitikerin war, die dahintersteckt. Dafür spricht, dass man ihr am ehesten die Unkenntnis des Wahlrechts zutraut mit der unterschiedlichen Funktionsweise von Erst- und Zweitstimme. Eher weniger denkt man dabei an die Führungsfigur der Bonner Grünen, die frühere Bundestagsabgeordnete und jetzige Oberbürgermeisterin Katja Dörner, die erst vor kurzem bekannt gegeben hat, dass sie zur Kommunalwahl im September wieder antreten will. Dörner ist auf die Kooperation der Parteien angewiesen, wenn es um den Abwehrkampf gegen die Berliner Begehrlichkeiten geht. Dennoch führt ihr Kontrahent, der CDU-Landtagsabgeordnete Guido Dèus, der ebenfalls ins Bonner Rathaus strebt, die Kritik an der Wahlaufruf-Aktion der Grünen an, die er wegen „Unsportlichkeit“ nun diskreditiert sieht. Ob nur eines oder zwei Bonner Mandate im nächsten Deutschen Bundestag – nach dem Wahltag wird man sich wieder im Interesse der Stadt und ihrer Bürgerinnen und Bürger zusammenraufen müssen, denn die wahren politischen Gegner sitzen ganz woanders.

*) Der Autor ist promovierter Politik- und Kommunikationswissenschaftler und nach langjähriger Tätigkeit bei der Konrad-Adenauer-Stiftung jetzt Geschäftsführer der GPK Gesellschaft für Politische Kommunikation in Bonn.

**) Nachtrag: Bei der Bundestagswahl am 23.02.2025 erhielten die genannten Kandidaten Hendrik Streeck 33,3 Prozent, Kathrin Uhlig 24,4 und Jessica Rosenthal 21,6 Prozent. Streeck gewinnt damit das Bundestagsmandat im Wahlkreis 96 Bonn, Uhlig zieht über die NRW-Landesliste in den Bundestag ein.

Bonner „Antiwahlkampf“ – wie sich die Parteien in der früheren Bundeshauptstadt entzweien

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