Von Robert Grünewald*
Über den ganzen Feierlichkeiten und Lobpreisungen für die demokratischen Errungenschaften, wie sie sich im Grundgesetz manifestieren und wie dieses sich in den 75 Jahren nach seiner Entstehung bewährt hat, geht völlig unter, dass die Verfassungsväter und -mütter aus historischen Gründen auch Vorkehrungen getroffen haben, die uns heute als schwere Last vorkommen. Ganz vorne mit dabei sind Hörfunk und Fernsehen, die gerade wegen der Kompetenzverteilung auf die deutschen Bundesländer und deren Unfähigkeit zur Reform in der Kritik stehen. Wie es dazu kam, zeigen die Diskussionen im Parlamentarischen Rat, die zum Teil sehr kontrovers geführt wurden, teils auch mit großer Schlitzohrigkeit mancher Beteiligter. Die Kompetenzfrage war umstritten zwischen der CDU auf der einen Seite und SPD und CSU auf der anderen Seite. Die CDU favorisierte mehr oder weniger eine Rückübertragung der Regelungskompetenz für den Rundfunk auf den späteren Bundesstaat, die von den Alliierten den Ländern zugesprochen worden war. SPD und CSU hielten dagegen die Länder aus historischen Gründen für die geeigneten Gesetzgebungsinstanzen. Der folgende – stark gekürzte und in den übrigen Passagen leicht geänderte – Auszug aus der Dissertationspublikation des Autors „Medienordnung und Bundesstaat“ (Vistas-Verlag, Berlin 2005) zeichnet die Debatte im Parlamentarischen Rat in den wesentlichen Zügen nach. Auf die Quellenangaben und Fußnoten der Originalfassung wurde der Lesbarkeit halber hier verzichtet.
Mit Entstehung und Aufbau des Bundesstaates bildeten sich im Parlamentarischen Rat zwei verschiedene medienpolitische Grundpositionen heraus. Die föderalistische Position, die vor allem bei der SPD und der CSU anzutreffen war, ging davon aus, dass in der Rundfunkordnung eine Aufgabe zu sehen sei, deren gesetzlicher und organisatorischer Rahmen von der Gesetzgebungsgewalt der Länder zu bestimmen war. Auf der anderen Seite hatten die während der Besatzungsjahre an den kommenden Gesamtstaat geknüpften Hoffnungen und Erwartungen eine später vor allem auf der Bundesebene anzutreffende zentralistische bzw. unitarische Haltung vor allem bei der CDU genährt, die in der Rundfunkordnung eine primär vom Bundesstaat zu lösende Aufgabe sah, und dies, obwohl parallel zu den Verfassungsberatungen in den Ländern zur gleichen Zeit Rundfunkgesetze verabschiedet wurden.
Bereits frühzeitig hatten Verfassungspolitiker der CDU eine Einschränkung der Länderkompetenzen angestrebt, und zwar im Rahmen der Beratungen über den Katalog, in den die ausschließlichen Gesetzgebungsbefugnisse des Bundes aufzunehmen waren, insbesondere im Hinblick auf den Geltungsbereich für das Post- und Fernmeldewesen. Der Verfassungskonvent von Herrenchiemsee hatte hierzu jedoch festgestellt: ”Der Konvent ist der Auffassung, dass das Rundfunkwesen einschließlich der Rundfunktechnik nicht zum Fernmeldewesen gehört.” Eine detaillierte Kompetenzabgrenzung unterblieb jedoch, was später oft als Versäumnis der Verfassungsväter dargestellt wurde, das zum Ausgangspunkt der späteren Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern werden sollte. Der Blick auf die Verhandlungsführung von maßgeblichen Politikern im Parlamentarischen Rat zeigt jedoch, dass es sich offensichtlich um eine gezielte und scharf kalkulierte Unterlassung im Interesse einer späteren Kompetenz-Interpretation zugunsten des Bundes gehandelt hat.

In der CDU/CSU-Fraktion des Parlamentarischen Rats wurden zu dieser Frage bereits zu Beginn der Beratungen gegensätzliche Auffassungen zu Protokoll gegeben, obwohl sich der Verfassungsausschuss der Arbeitsgemeinschaft der CDU/CSU vorher darauf verständigt hatte, ”Post und technische Regelung des Funkverkehrs” seien in den Katalog für die ausschließliche Gesetzgebung des Bundes aufzunehmen, was eine Einschränkung der Kompetenzen des Bundesgesetzgebers bedeutete. Einige CDU-Abgeordnete sahen darin und in der Feststellung des Verfassungskonvents eine ”außerordentlich gefährliche Formulierung, weil sie der bisher geltenden deutschen Rechtsauffassung hundertprozentig widerspricht”. Verlangt wurde eine Aussprache darüber, ”ob nicht doch der Rundfunk hineinkommen soll, ob also nicht nur das Technische des Rundfunks, sondern auch die Organisation des Rundfunks reichsgesetzlich geregelt werden sollte”.
Dagegen wandte sich im Zuständigkeitsausschuss der CSU-Abgeordnete Josef Kleindinst, der föderalistisch argumentierte: ”Es ist wohl ein Unterschied, ob ich einen Rundfunk für die Bedürfnisse von Groß-Berlin, für Württemberg-Baden, für Bayern oder für Hessen organisiere. Ich möchte Ihnen doch dringend empfehlen, bei den kulturellen Aufgaben vorsichtig zu sein und die gesunde Konkurrenz der Leistung aufrecht zu erhalten, damit wir in kulturellen Angelegenheiten nicht zu einer Uniformierung kommen.”. Vor allem der bayerische Unionsabgeordnete Wilhelm Laforet vertrat den föderalistischen Standpunkt: ”Ausschließliche Gesetzgebung heißt, dass das Land über diesen Gegenstand überhaupt kein Gesetz erlassen kann. Bayern hat übrigens ein solches Rundfunkgesetz erlassen, dessen wesentliche Teile nur die Organisation des Rundfunks, ihre Gestaltung betreffen… Die Organisation des Rundfunks ist für die ganze Einrichtung des Inhalts wesentlich; denn sie gibt eigentlich die Gewähr, ob das geschieht, was man mit diesem wichtigsten Kulturmittel von heute erreichen will. Ich möchte dringend raten, die Grenze in der technischen Gestaltung zu sehen…”
Im weiteren Verlauf der Beratungen spitzte sich die Auseinandersetzung auf die Regelungskompetenz des Bundes zu. Von CDU-Seite wurde jetzt vorgeschlagen: ”Es steht einwandfrei fest, dass unter den rechtlichen Begriff des Fernmeldewesens das Rundfunkwesen gehört. Es steht ferner fest, dass die deutschen Anschauungen über die gesetzliche Regelung der Materie teilweise von den Anschauungen der Militärregierung abweichen. Wenn wir es bei der Fassung belassen ‚das Post- und Fernmeldewesen‘, ist die Regelung offen und bleibt dem Bundesgesetzgeber überlassen… Will man aber die Geschichte bereits verfassungsrechtlich regeln…, dann müsste man allerdings hinzufügen ‚einschließlich der technischen Seite des Rundfunkwesens’…”
Diese Alternativ-Formulierung, die die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Rundfunk verfassungsrechtlich einschränkte, war Gegenstand eines Antrags des Abgeordneten Laforet. Der Ausschuss lehnte den Antrag jedoch mit deutlicher Mehrheit ab. Auf die Frage, was die vom Ausschuss angenommene Formulierung bedeute, antwortete ein CDU-Abgeordneter: ”Dass der einfache Bundesgesetzgeber künftig die Frage regeln muss, nicht der Verfassungsgesetzgeber.” Die Frage der Rundfunkorganisation bleibe insoweit offen, ”als das vom künftigen Parlament zu entscheiden ist”.
Im Hauptausschuss, in dem eine politische Entscheidung über die Streitfrage fallen musste, wiederholte Laforet seine Auffassung, dass ”wir nur das rein Technische im Fernmeldewesen erfassen, also den einzelnen Ländern die Möglichkeit von Rundfunkgesetzen hinsichtlich der organisatorischen Gestaltung überlassen”. Auch der Abgeordnete von Mangoldt schloss sich dieser Auffassung an, indem er feststellte, ”dass gewisse Zweifel herrschen, inwieweit die gesetzliche Regelung des Rundfunkwesens unter den Begriff des Post- und Fernmeldewesens fällt… Dann ist es Aufgabe eines Zusatzes über das Rundfunkwesen, das klarzustellen…”. Seine föderalistische Auffassung vom Rundfunk als Kulturgut und damit in die Kulturhoheit der Länder fallend äußerte auch der Ausschuss-Vorsitzende, der SPD-Abgeordnete Carlo Schmid später wiederholt. Der Hauptausschuss übernahm die Beschlussfassung des Zuständigkeitsausschusses als Empfehlung an das Plenum des Parlamentarischen Rats.
Damit hatten sich diejenigen Verfassungspolitiker im Parlamentarischen Rat durchgesetzt, die zugunsten des künftigen Bundesgesetzgebers keine verfassungsrechtlichen Kompetenzfestlegungen im Bereich des Rundfunks getroffen sehen wollten, weil sie glaubten, damit den Bundesgesetzgeber von jeder kompetenzrechtlichen „Fesselung“ frei gehalten zu haben – ein folgenreicher Irrtum. Die den Ausfluss aus Art. 5 GG (Presse- und Rundfunkfreiheit) ausblendende und sich allein auf die Art. 72 bis 74 GG (Kompetenzverteilung) stützende Auslegung des GG sollte sich später als Irrweg für jedwede Neuregelung des Rundfunks durch den Bundesgesetzgeber erweisen. Damit bleibt der Rundfunk und seine Regelung den Ländern vorbehalten, die sich aber, das haben alle bisherigen Versuche gezeigt, aus vielerlei Gründen auf eine Reform nicht verständigen können. Und daran, so die Prognose des Autors, wird sich auch künftig nichts gravierend verändern, zumal die Verfassungsrechtsprechung die vom Parlamentarischen Rat im GG angelegte Rundfunkordnung durch ihre Urteile noch weiter zementiert hat.
*) Der Autor ist promovierter Politik- und Kommunikationswissenschaftler und Geschäftsführer der GPK Gesellschaft für Politische Kommunikation in Bonn.