Von Robert Grünewald*
Das Auffälligste an diesem Bundesparteitag der AfD war die Unauffälligkeit im Ablauf und nicht etwa die nach Zehntausenden zu zählenden Demonstranten vor dem Essener Parteitagsgebäude. Die meisten Beobachter zeigten sich überrascht von der unspektakulären, ja fast harmonischen Art und Weise, wie die Rechtsextremen ihr Delegiertentreffen im Vergleich zu ihren früheren Chaos-Parteitagen über die Bühne brachten. Dabei hatte es eigentlich mit den zahlreichen innerparteilichen Konflikten im Vorfeld genügend Zündstoff gegeben, der dem Ganzen einen ähnlichen Verlauf wie früher hätte bescheren können. Höhepunkt der innerparteilichen Kontroverse war der einem Rauswurf gleichkommende Rückzug Maximilian Krahs aus dem Bundesvorstand kurz vor dem Parteitag. Auch einen Unterstützungsantrag für Krah konnte man elegant aus dem Weg schaffen, wie überhaupt alle größeren Konflikte mehr oder weniger im Vorfeld abgeräumt worden waren, so dass am Ende ein erstaunliches Bild der Geschlossenheit für die Öffentlichkeit zu besichtigen war. Dafür sorgten vor allem auch die beiden alten und neuen Parteisprecher Tino Chrupalla und Alice Weidel, die jeweils mit knapp 83 bzw. 80 Prozent wiedergewählt wurden.
Professionalisieren, um zu regieren
Auch wenn die AfD immer wieder verächtlich auf die „Altparteien“ schaut, so ist doch unverkennbar, dass sie deren Methoden übernommen hat, um professioneller zu werden. Die Demonstration von Harmonie und Geschlossenheit als wichtigstes Instrument wurde ihr allerdings auch durch externe Umstände erleichtert. So haben die zahlreichen Proteste der Vergangenheit die Partei zusammengeschweißt und nicht zuletzt die jüngsten Demonstrationsaufmärsche vor dem Parteitagsgebäude es ihr leicht gemacht, auf dem Treffen in Essen weiter zusammen zu rücken. Innerparteilich wurde dies zudem durch geschicktes Taktieren befördert, indem nach Maximilian Krah auch Björn Höcke aus der Schusslinie genommen wurde. Gleichzeitig rückte die Partei inhaltlich noch näher heran an ihre völkisch-nationalistischen Ziele, die auch auf dem Parteitag wieder verbalisiert wurden, dekoriert mit teils rassistischen Hassbotschaften. Dies sorgte dafür, dass der äußerste rechte Rand befriedet wurde, der bisher noch immer für Krawall und Radau gut war. Radikalität im Nadelstreifen: Mit all dem ist die AfD ihrem großen Ziel ein Stück nähergekommen, zuerst in den Ländern und dann auch im Bund zu regieren. Dabei schaut die Partei nach Frankreich und Italien, wo man sich in der Wählerschaft offensichtlich an die Radikalität der Positionen von Rechten und Rechtsextremen gewöhnt hat. Die AfD setzt darauf, dass diese Gewöhnung auch hierzulande eintritt. Sie unternimmt auch keinerlei Anstrengungen, um sich etwa durch Abschwächung ihrer Radikalpositionen koalitionsfähig zu machen, weil sie darauf setzt, dass die anderen Parteien um des Regierens willen auf sie zukommen (müssen). „Projekt 2029“ nennt sie ihr großes Ziel, das die Partei in die Regierung im Bund bringen soll durch Koalieren, ohne die eigenen Radikalpositionen aufgeben zu müssen. Wenn sie dieses Ziel so routiniert verfolgt, wie sich die Essener Parteitagsregie präsentiert hat, steht dem nur wenig im Wege.
Verhältnis zur CDU
Spätestens nach diesem Parteitag müssen sich also die anderen Parteien fragen, wie sie die AfD noch am Einzug in Staatskanzleien und Bundesministerien hindern wollen. Als Hauptgegner gilt ihr die fast schon verhasste Union, die gelegentlich auch verächtlich als „Blockpartei“ bezeichnet wird in der Absicht, bei den anstehenden Landtagswahlen im Osten aus dieser Assoziation Kapital zu schlagen. Allerdings hat die CDU seit Gründung der AfD im Jahre 2013 auch alles getan, diese als konservative Alternative erscheinen zu lassen – auch durch die Weigerung vieler in der Union, selbst konservativ sein zu wollen. Nun fällt dieses Problem dem CDU-Vorsitzenden Merz vor die Füße, dem es zumindest gelungen ist, die eigenen Reihen zu schließen. Eine Leitlinie zum Umgang mit der AfD, wie sie immer wieder angekündigt wurde, steht noch aus. Allerdings machen es sich die anderen Parteien, vorneweg SPD und Grüne, ziemlich leicht, indem sie immer wieder die CDU zur Brandmauer gegen die AfD aufrufen. Mehr als Demo und Protest fällt ihnen allerdings nicht ein. Eher befördern sie damit noch – siehe oben – die Geschlossenheit der Rechtsextremen, zumal wenn es bei den Protesten zu Ausschreitungen kommt, durch die dann auch noch Polizisten und Polizistinnen zu Schaden kommen. Es ist zu bezweifeln, ob es klug war, dass sich namhafte CDU-Vertreter an den Protesten gegen den AfD-Parteitag beteiligt haben. Die CDU, Hauptgegner der AfD im demokratischen Parteienspektrum, muss andere Mittel und Wege finden, um sich gegen die Rechtsextremen zu behaupten und vor allem deren Wählerinnen und Wähler anzusprechen. Dabei kann die CDU mit ihren politischen Grundwerten wuchern, auf die rechtsextreme Parteien wie die AfD pfeifen. Es ist ein leichtes, den rassistischen und menschenverachtenden Hassbotschaften das Prinzip des christlichen Menschenbildes der CDU entgegenzuhalten. Das klingt zwar langweilig, ist aber nicht wenig, wenn man sich klar macht, was dahintersteckt: die Achtung und Wertschätzung einer jeden einzelnen Person in ihrer Würde ohne Schielen auf ihre Herkunft, Hautfarbe oder Religion. Und dem Sammelsurium der AfD in wirtschaftspolitischen Fragen, die keinerlei Leitbild erkennen lassen, kann die CDU mit Ludwig Erhards Sozialer Marktwirtschaft begegnen, die Deutschland nach dem Krieg zu einer der führenden Wirtschaftsnationen in der westlichen Welt gemacht hat, auch wenn die Politik der Ampel-Regierung im Moment keine Anstrengung unterlässt, dies zu konterkarieren. Die CDU muss also nur wollen, aber wie?
Graswurzelkampf: der AfD auf kommunaler Ebene entgegentreten
Die medienbedingte Konzentration auf die Situation in Bund und Ländern verstellt den Blick auf die Tatsache, dass AfD-Vertreter auch vor Ort in den Kommunen Ämter und Mandate wahrnehmen. Viel wäre schon gewonnen, wenn die „Altparteien“ hier einen Weg im Umgang mit den Rechtsradikalen fänden. Dabei werden sie allerdings von Bundes- und Landesparteien bisher allein gelassen nach dem Motto: vor Ort müsst Ihr selbst entscheiden, was für Eure Kommune am besten ist. Dennoch gäbe es Möglichkeiten, sich sichtbar für die Bürgerinnen und Bürger von der AfD zu distanzieren. Der Geschäftsführer des Deutschen Landkreistages, Henneke, hat einen Leitfaden erstellt, der hierfür Vorbild sein könnte. Danach gilt grundsätzlich: Keine Zusammenarbeit mit Extremisten, also auch der AfD, in kommunalen Vertretungsorganen. Es sollten niemals AfD-Anträge unterstützt werden, auch wenn diese im Interesse der Kommune seien. Solche Anträge könnten in Abänderung als eigene Anträge eingebracht werden. Und: Solange die AfD über keine absolute Gremienmehrheit verfügt, seien immer Mehrheiten gegen sie möglich. Dies setzt voraus, dass die CDU und die anderen Parteien einigungsfähig sind und Kompromisse eingehen. Ein unabänderlicher Zwang zur Zusammenarbeit mit der AfD und anderen extremistischen Parteien besteht also nicht. Solange allerdings bei SPD und Grünen die Neigung besteht, CDU und AfD gewissermaßen gegeneinander auszuspielen, worauf viele Äußerungen aus dem linken Lager hinweisen, wird für die CDU auch auf kommunaler Ebene ein steiniger Weg zu gehen sein. Doch ihn zu gehen lohnt sich – im Interesse unserer Demokratie. Einfach nur gegen „Räächts“ zu demonstrieren, wie es vor allem linke Parteien tun, reicht bei weitem nicht mehr aus.
*) Der Autor ist promovierter Politik- und Kommunikationswissenschaftler und Geschäftsführer der GPK Gesellschaft für Politische Kommunikation in Bonn. Er berät u.a. Parteien, Verbände und Kommunalvertretungen im Umgang mit der AfD.