Von Stephan Eisel*
Die Europawahl vom 6. – 9. Juni 2024 hat die politische Mitte mit den pro-europäischen Kräften erneut bestätigt. Sie erhielten mehrt als zwei Drittel der Stimmen. Christdemokraten, Sozialisten und Liberale gewannen mehr als die Hälfte der Sitze (ca. 400 von 720). Dabei waren die Parteien der Europäischen Volkspartei die eindeutigen Wahlsieger und wurden bei einem Zugewinn von zehn Sitzen mit deutlichem Abstand erneut stärkste Fraktion. Entscheidend dafür waren die Erfolge in Deutschland, Polen und Spanien. Die Sozialisten konnten wegen der Ergebnisse in Skandinavien trotz der Verluste in Deutschland ihre Position halten, während Liberale (vor allem in Frankreich) und Grüne (fast überall) deutlich Verluste hinnehmen mussten. Zugewinne erzielten auch rechtspopulistische Parteien vor allem in Frankreich, Österreich, Belgien und auch Deutschland. Zugleich verloren sie z. B. in Polen und Ungarn. In Italien nahm die rechtspopulistische, aber weitgehend pro-europäische Partei von Ministerpräsidentin Meloni der rechtsradikalen und antieuropäischen Lega Nord, die mit Le Pen paktiert, 14 Sitze ab. Wer das Ergebnis der Europawahl seriös einordnen will, muss sich die Mühe machen, die Wahlen in allen 27 Mitgliedsländern zu analysieren, denn die Parteienlandschaft ist in den Mitgliedsländern sehr unterschiedlich.
Das Ergebnis der Europawahlen in Deutschland war vor allem eine Katastrophe für die Parteien der Ampel-Regierung. Die Kanzlerpartei SPD erhielt nur noch 13,9 Prozent und verlor damit die Hälfte der Stimmen, die sie noch bei der Bundestagswahl erhalten hatte. Der Abstieg der SPD scheint unaufhaltsam. Das ist umso dramatischer, als die SPD ihren Wahlkampf völlig auf Olaf Scholz zugeschnitten hatte. Mit dieser krachenden Niederlage steht die Kanzlerfrage auf der Tagesordnung der SPD und lässt sich allenfalls noch einige Wochen bis zu den Landtagwahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg vertagen. Dort droht der SPD sogar das Scheitern an der 5-Prozent-Klausel.
Die GRÜNEN verloren gegenüber der letzten Europawahl fast die Hälfte ihrer Stimmen und gegenüber der Bundestagswahl fast drei Prozent. Halbiert gegenüber der Bundestagswahl wurde auch die FDP, die wohl nur wegen einer profilierten Spitzenkandidatin an einem Desaster vorbeischlitterte. Insgesamt erhielten die Regierungsparteien zusammen nur noch den gleichen Zuspruch wie die Union alleine.
So konnten CDU und CSU wieder 29 Mandate im Europaparlament erobern, die Grünen verloren gleich neun Sitze im Parlament (jetzt noch 12), die SPD verlor zwei Sitze (jetzt noch 14). Die FDP behielt ihre fünf Mandate, das Bündnis Sarah Wagenknecht erreicht aus dem Stand 6 Sitze. Dass die AfD mit 15 Abgeordneten (+4) trotz zahlreicher Skandale vor SPD und Grünen den zweiten Platz eroberte, ist ebenso besorgniserregend wie ihr Spitzenplatz in den neuen Ländern und das gute Abschneiden gerade bei jungen Wählern. 15 der 96 deutschen Mandate entfallen übrigens auf Parteien, die weniger als 3 Prozent der Stimmen erhielten: Linke, Volt und Freie Wähler erhielten je drei Mandate, die (Satire-) Partei zwei Mandate; Tierschutzpartei, die ÖDP, die Familien-Partei und die Partei des Fortschritts erhielten jeweils ein Mandat
Das Ergebnis der Union ist mit 30 Prozent kein Durchbruch, aber mit einem Zuwachs von 5,9 Prozent gegenüber dem besonders schlechten Ergebnis der Bundestagswahl ein großer Schritt vorwärts. Dabei unterscheiden sich die Ergebnisse in den Ländern sehr deutlich: Deutlich überdurchschnittlichen Verlusten im Saarland (-3,2 Prozent), Mecklenburg-Vorpommern (-3,0), Bremen (-2,1), Thüringen (-1,6), Sachsen (-1,2) stehen besondere Zugewinne in Hessen (+4,2), Schleswig-Holstein (+4 ), NRW (+3,3) und Berlin (+2,4 Prozent) gegenüber. Für die Union bleibt es eine Herausforderung, dass sich ihr weniger als die Hälfte der enttäuschten Ampel-Wähler zuwenden. Die meisten Bürger, die sich von der Ampel abwenden, werden zu Nichtwählern und sind damit für die Union noch nicht gewonnen, aber auch für die Ampel nicht endgültig verloren. Näheren Aufschluss werden möglicherweise die Landtagswahlen in den drei östlichen Bundesländern im Spätsommer erbringen. Es bleibt spannend, nicht nur für die drei Ampel-Parteien.
*) Der Autor ist promovierter Politikwissenschaftler und war viele Jahre lang enger Mitarbeiter von Helmut Kohl im Bundeskanzleramt. In Bonn ist er Vorsitzender des Vereins „Bürger für Beethoven e.V.“.