Werden neuerdings Fake News die politische Kommunikation im Sommerloch bestimmen?
von Dieter Weirich *
Die 630 Abgeordneten des Deutschen Bundestages gehen in die parlamentarische Sommerpause, die bis zum 8. September währt. Keine Pause haben der Ukraine-Krieg, Gaza, Migration und eine die Wirtschaft verunsichernde US-Zollpolitik. Bundeskanzler Friedrich Merz hat es nun im „Innendienst“ mit einer ungemütlichen Agenda zu tun. Und es wäre keine Überraschung, wenn die Volksvertreter ihre Sommerfrische mal wieder für eine Sondersitzung unterbrechen müssten. Es ist also ratsam für jeden Abgeordneten, Gewehr bei Fuß zu stehen – also den Urlaub im Falle eines Falles zu unterbrechen.
„Schwimmen Sie nicht zu weit hinaus“, hatte Bundestagspräsident Norbert Lammert seinen Kollegen anno 2015 in der Griechenland-Krise als Ratschlag mit auf den Weg in den Urlaub gegeben. Er sollte recht behalten. Fünfzigmal hat es seit 1949 während des Sommers eine Sondersitzung des Bundestages gegeben – so zum Beispiel 1964 wegen der Erhöhung der Telefongebühren um zwei Pfennige, 1961 infolge des Baus der die deutsche Teilung zementierenden Berliner Mauer, 1984 wegen der Inbetriebnahme eines Kohlekraftwerks in Niedersachsen oder 2019 wegen der Vereidigung der Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer.
Mit einer aus den Fugen geratenen Welt der Politik ist auch die sogenannte Saure-Gurken-Zeit oder das Sommerloch, das die nachrichtenarme Zeit beschreibt, aus dem politischen Wörterbuch verschwunden. Der Saure-Gurken-Begriff erinnert an die frühen Jahre mit Not und Hunger, in denen es vor allem im Sommer kaum frische Lebensmittel gab außer den preiswerten eingelegten sauren Gurken.
Die chronische Themenarmut im Sommer nutzten früher vor allem Hinterbänkler im Bundestag zur Produktion überraschender Schlagzeilen. So forderte ein bayerischer CSU-Abgeordneter 1993, Mallorca für 50 Milliarden Mark als 17. Deutsches Bundesland zu erwerben. Eine bayerische Landrätin regte 2007 gar die „Ehe auf Zeit“ an, und eine Deo-Pflicht am Arbeitsplatz sollte die Betriebsatmosphäre verbessern. Überdies tauchte regelmäßg das Ungeheuer von Loch Ness im Sommer auf, und der Problembär Bruno trieb 2006 in Oberbayern sein Unwesen, bis er schließlich im Landkreis Miesbach erschossen wurde.
Die erfundenen Meldungen und skurrilen Wünsche verschwanden allerdings stets mit dem ausklingenden Sommer. Doch inzwischen überschwemmen Fake-News, also Unwahrheiten, das ganze Jahr über die sozialen Medien. Dies ist eine gefährliche Entwicklung, nimmt doch nach einer Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung das Interesse an traditionellen Nachrichtenquellen ab. Viele Menschen sind durch die Informationsflut überfordert. Was bleibt, ist die Sehnsucht nach der guten alten Saure-Gurken-Zeit.
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*) Der renommierte Medienexperte und Kommunikationsberater Dieter Weirich (CDU) war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst „als liberalkonservativen Streiter“ sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.