Die politische Kommunikation unserer Zeit krankt zunehmend an der Unfähigkeit, Fehler einzugestehen
von Dieter Weirich *)
Kaum eine „staatstragende“ Rede zu einem der vielen historischen Anlässe in diesen Tagen kommt ohne ein Zitat von Karl Popper aus. Jenem Begründer des kritischen Rationalismus in der Philosophie, einem Kant und Einstein folgenden großen Denker. Er hielt „Selbstkritik für die beste Kritik“ und „Kritik durch andere für eine Notwendigkeit“.
Wie ist es aber um die Glaubwürdigkeit der den britischen Philosophen wie eine Monstranz vor sich hertragenden Würdenträger bestellt? Da ist zum Beispiel Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der unaufhörlich die Vorzüge demokratischer Streitkultur betont, Kritik aber an sich selbst nicht als Chance für einen Dialog, sondern als ungebührlich, ja sogar als Majestätsbeleidigung empfindet. Sie alle bestätigen damit das in der Öffentlichkeit weit verbreitete Bild einer abgehobenen Blase.
Wie dünnhäutig das deutsche Staatsoberhaupt durch die ständigen Ergebenheitsadressen seines „Hofstaates“ dem Alltag enteilt ist, zeigte sich jüngst anlässlich einer Veranstaltung zur Erinnerung an 35 Jahre friedlicher Revolution, als der Publizist Marko Martin die Feierstunde im Bundespräsidialamt durch seine Kritik an Steinmeier „entweihte“. Der Schriftsteller geißelte die Russlandpolitik der SPD, erinnerte an Egon Bahrs verweigerte Solidarität gegenüber der polnischen Gewerkschaftsbewegung Solidarnocz, an die für Ex-Kanzler Schröder einträgliche Männerfreundschaft zu Putin, und erinnerte an Steinmeiers falschen und folgenschweren Einsatz für das Nordstream-2-Projekt.
Martins Breitseite gegen die deutsche Geschichtsvergessenheit und die Inflationierung des Friedensbegriffes ließ Steinmeier ausrasten. Wutentbrannt warf er dem Redner vor, keine Ahnung von den komplizierten Zusammenhängen seinerzeit zu haben. Und die Domestiken am Hofe raunten pflichtbewusst, so könne man sich als Gast doch nicht verhalten. Haben sich die in einer Monarchie wähnenden Diener einmal vor Augen gehalten, dass Steinmeier auch nur Gast auf Zeit im Schloss Bellevue ist, eingeladen von uns Steuerzahlern und Wählern?
Ob Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Kanzler Scholz und Christian Lindner nach dem Ampel-Aus, oder die in Sturheit verharrende Altkanzlerin Angela Merkel, die es uns jetzt mit ihren Memoiren auch schriftlich gegeben hat, dass sie nichts falsch gemacht hat: es scheint für die herrschende politische Klasse unmöglich zu sein, von deutschen Lebenslügen Abschied zu nehmen, etwa der sehenden Auges geschaffenen energiepolitischen Abhängigkeit von Putin, oder der sogenannten Friedensdividende, mit der an unserer Wehrfähigkeit, unserem militärischen Schutz gespart wurde. Für Selbstkritik scheint es neuerdings keinen Platz mehr zu geben.
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*) Der renommierte Medienexperte und Kommunikationsberater Dieter Weirich (CDU) war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst „als liberalkonservativen Streiter“ sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig. Der Beitrag gibt ausschließlich den Standpunkt des Autors wieder.